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Die Geriatrie tanzt – Fanfare Ciocarlia im Kurpark Bad Homburg

Fanfare CiocarliaElf Roma aus dem Norden Rumäniens rocken, was das Zeug hält. An einem Sommerabend, der sich doch noch erbarmt hat, warm und sonnig zu werden. Mitten in einem Park. Im Grunde alles für einen perfekten Abend. Wenn's nur nicht in Bad Homburg wär…

Was klang das gut mit dem Bad Homburger Sommer und den Sommerkonzerten im Park. Erst die Monotones, dann Zigeunerblasmusik, Celtic Folk'n'Beat und schließlich Cajun Music, mein absoluter Favorit. Sogar die Ankündigung auf der Startseite von bad-homburg.de. Was anderes als die Orscheler, die immer weniger interessantes auf die Reihe bekommen angesichts von finanziellen Kürzungen und abnehmenden Engagement. Doch ist es wirklich eine Alternative?

Als ich kurz vor 21 Uhr mit dem Mountain Bike in den Schlosspark einrolle, tanzt bereits der Bär. Die Veranstaltung sollte um 20 Uhr beginnen. Auf der Bühne zwei Hände voll Gypsys aus dem Dorf Zece Prajin. Sie rocken was das Zeug hält. Irgendwo zwischen hüftschwenkendem Latino-Feeling und rasender Polka. Europäischer Ur-Rock sozusagen, den uns die Roma aus dem Balkan bewahrt haben. Ein Blick über das Publikum ist äußerst skurril.

Es ist, als hätte jemand ein Lineal angelegt und den Trennstrich gezogen. Links Stühle und Bänke. Darauf das Publikum über 60 und die, die sich so fühlen. Bei manchen Damen zuckt der Kompressionsstrumpf mit im Takt. Junges Herz in alten Knochen. Rechts der Bühne dagegen wildes Tanzen. Alles zwischen 20 und 40, das noch fit genug ist, die Power rauszulassen. Welch ein Anblick.

Die Musiker dagegen oben, getrennt vom Publikum in der "Konzertmuschel". Nicht, dass hier eine architektonische Glanzleistung zu erkennen wäre. Nette Blumen blühen, sicher. Doch ansonsten herrscht eine strikte Trennung zwischen Musikern und Publikum wie in einer Konzerthallte. Als ob hier Ausschreitungen zu befürchten wären… Rechnet hier im Ernst jemand mit fliegenden dritten Zähnen?

Doch dann, während der Zugabe, kommen sie herunter, stellen sich endlich ohne die unnötigen Verstärker vors Publikum. Ein Trompeter läuft zwischen uns hindurch, den fünf Euro Schein auf die Stirn gepappt. Sein Hut füllt sich mit Münzen und Scheinen. Die Menge steht um sie herum, endlich Kontakt. Doch so hoffnungsvoll der Anblick, so schnell ist es vorbei. Noch vor dem letzten Ton verstreut sich das Publikum. Noch nicht einmal 22 Uhr, jetzt könnte die Party so richtig losgehen. Doch die Bürgersteige werden hochgeklappt, das Konzert ist vorbei.

Was eine Band, was ein begeisterungsfähiges Publikum. Doch hier ist Bad Homburg. Schönen Gruß an die Geriatrie. 

 

Weitere Infos bei laut.de 

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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