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Musikimprovisation und auditive Wahrnehmung

Musik und Sprache sind – physikalisch gesehen – Schwingungen

bzw. Schallwellen. Besäße der Mensch nicht die Fähigkeit sie wahrzunehmen, gäbe es in seiner Kultur keine Musik. Ihre Existenz und Erzeugung ist untrennbar verbunden mit der Fähigkeit des Hörens. Joachim Ernst BEHRENDT trifft in seinem akustischen Werk ‚Vom Hören der Welt‘ folgende Feststellungen über das menschliche Ohr:

  • In ihm befindet sich zusätzlich zur Wahrnehmungsfähigkeit der Gleichgewichtssinn
  • Die Bandbreite des Hörbereichs ist zehnmal größer als die des menschlichen Auges, zudem mißt das Ohr genauer, denn
  • Die Meßfähigkeit, die Mathematik liegt in ihm verborgen
  • Die dichteste und höchste Konzentration von Nervenendungen im menschlichen Körper befindet sich in der Cochlea des Innenohres
  • Lauscht man der menschlichen Sprache nach, findet man die große Bedeutung des Hörens
  • Das Ohr ist beim menschlichen Embryo das erste Sinnesorgan, das fertig ausgebildet ist und zu arbeiten beginnt, und der letzte Sinn, der ‚aufhört‘, wenn ein Mensch stirbt
  • Es läßt sich nicht – wie zum Beispiel das Auge – einfach verschließen

Dennoch ist das Auge der Sinn,

mit dem der moderne Mensch 70-80% seiner Informationsaufnahme vornimmt, wobei ich klarstellen muß: Ich plädiere in dieser Arbeit niemals für eine Dominanz der Ohren, sondern für ein Gleichgewicht der Wahrnehmung. Denn dies ist heutzutage nicht mehr gegeben, das Ohr ist zum bloßen Diener des Auges geworden.
Sprachlich läßt sich die auditive Wahrnehmung auf zwei Begriffe aufteilen: das Hören, als passiver Akt, sowie das Horchen, als aktive Form. Gerade beim westlichen Menschen wird das Ohr fast nur noch für ersteres gebraucht und ist, stärker noch als die anderen Sinne, der Umweltverschmutzung ausgesetzt – in Form von Lärm oder Dauerberieselung durch ‚Musik‘, die nicht der Seele von MusikerInnen entspringt, sondern unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten  konzipiert und eingesetzt wird.

Wie schwierig ist es

in all dem, wieder seinen eigenen Klang zu vernehmen oder den des Lebens? Der Mensch muß dazu wieder die Bedeutung der Musik und seines Hörsinnes erkennen, indem er seine Ohren aktiv zu gebrauchen lernt. Dadurch daß man selbst Musik macht, beginnt man verstärkt sich selbst zuzuhören und – durch improvisierte Musik – sich selbst wahrzunehmen und zu entdecken. Deshalb auch die Wichtigkeit des Recordings: Beim Abhören einer Improvisation hört man genauer nach, man horcht.

Durch Improvisation mit einer Gruppe

von Menschen kann man lernen, auch andere verstärkt wahrzunehmen, ihnen zuzuhören, was unabdingbar ist für Kommunikation. Wenn man alleine improvisiert, kommuniziert man mit sich selbst, in der Gruppenimprovisation findet Kommunikation untereinander statt. Diplom-Psachologe Klaus Sommer vom Tomatis-Institut Heidelberg sagte bei einem Vortag an der FH Frankfurt am 19.01.94: „Leben bedeutet Kommunikation“, was mich zu dem Gedanken führt: Wer mit anderen improvisiert, steigert die Kommunikation oder läßt sie überhaupt erst stattfinden, beginnt also in solchen Augenblicken intensiver zu leben.

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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