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Was ist Musik? – Die Form

Die Form ist das Äußere, der Rahmen, das Gefäß.

Sie ist vielgestaltig und wandelbar: „Es gibt feste und bewegliche, aufgelöste und verhärtete, entstehende und zerfallende, aufgebrochene und geschlossene, innere und äußere Eigenschaften einer Form.“ (HEGI, 134) Auch die Formlosigkeit ist eine Form und so hat jede Freiheit eine Form, allerdings eine wandelbare, so auch die freie Improvisation, wo die Form selbst ein Bestandteil dessen ist, mit was gespielt wird.

Ein Patient ist in Formen gefangen,

in verhärteten Formen seiner unerfüllten Bedürfnisse, der dann vom kranken zum heilbaren Patienten wird, wenn er bereit ist, diese Formen aufzugeben und den Inhalt, wie er jetzt ist, anzusehen. „Ein gelingender Therapieprozeß verwandelt Kranke zu Patienten und diese zu schöpferischen Menschen.“ (HEGI, 137)

Nach SCHÖNBERG und KANDINSKY wäre ein ständiger Wechsel zwischen Spontaneität und Form nötig, um einen lebendigen Prozeß in Gang zu halten. Oder anders formuliert: „Eine fixierte Form stirbt ab, weil sie ihre Wandelbarkeit ausschließt und eine zwanghaft freie Improvisation erstickt in ihrer eigenen Widersprüchlichkeit.“ (HEGI, 138)

Fast kriminell ist der Anspruch

an die Musik, fehlerlos sein zu müssen, wodurch Menschen das Spielen verleidet, eine lebenswichtige Ausdrucksmöglichkeit geraubt und sie so zum Konsumenten verurteilt sind. Denn: „Das Entdecken, das Fehlermachen und das Lernen gehören zusammen, sie gehen ineinander über. (…) Es gibt in der Improvisation keine falsche Bewegung, es gibt sinnvolle und sinnlose, effektvolle und kräfteraubende, gewollte und ungewollte Bewegungen. Aber auch sinnlose, kräfteraubende und ungewollte Bewegungen geben Hinweise oder sind Auslöser für neue Ideen, sind Anfangspunkte lebendiger Improvisation.“ (HEGI, 139) Die aus Angst erfolgte Abblockung einer Bewegung führt zur Unbeweglichkeit. Schöne oder interessante Formen können zur Gewohnheit werden, die als gute Gewohnheiten das Leben erleichtern, als schlechte – sprich Sucht – zerstören können.

Im Rahmen dieses Kapitels

ist es auch notwendig, auf die Formen des methodischen Handwerks einzugehen. Zentrales Wahrnehmungsorgan für Musik ist das Ohr (darüber mehr in Kapitel 2.2.), das über zwei Wahrnehmungsarten oder Aufnahmeformen verfügt. Zum einen kann es ganz im akustischen Geschehen drin sein, zum anderen kann es entweder voraushören, d.h. mit der Einatmung (Inspiration) nach innen hören, auf innere Stimmen und Melodien, oder es kann nachhören, was HEGI als die nachvollziehende, integrierende Form des Hörens bezeichnet, die durch die Fähigkeit gelingt, nach außen zu hören, auf die Umgebung, die äußere Natur. Letzteres ist notwendig in gruppendynamischen Prozessen, das Nach-innen-hören bei Solos, Dialogen oder Erzählungen.

Von Methode oder Wirkung her gesehen,

unterscheiden wir so drei Kategorien von Improvisationsformen:
1. Die Beziehungs-Improvisation, die alle Spielformen umfaßt, deren Leitfaden oder Ablaufmuster die Beziehung der Spieler untereinander betrifft.
2. Die themenzentrierte Improvisation, die Themen aus dem Umfeld oder Innenleben der Spieler vertieft.
3. Die übungszentrierte Improvisation, die die Musik selbst thematisiert und in der „die spielende Person die Selbstkontrolle und Selbstbeobachtung zugunsten eines Musikerlebnisses aufgeben kann.“ (HEGI, 144)

Improvisation bewegt sich immer im Spannungsfeld Ordnung-Chaos, wobei das Chaos erfinderisch und risikobereit macht, während die Ordnung die nötige Sicherheit vermittelt, Zufälle und Einfälle überhaupt zuzulassen. „Die derbe Schönheit des Chaos, die vermittelnde Provokation der Ordnung und die antreibende Selbstverständlichkeit des Zufalls sind drei gleichwertige Form-Muster der Improvisation, die Eckpfeiler eines Freiraumes, in dem Formen wandelbar bleiben.“ (HEGI, 144)

Lebensformen beeinflussen

als Verarbeitungs- und Bestätigungsversuch die jeweiligen Improvisationsstile, so daß Improvisation nicht nur Ausdruck innerer Verhältnisse einer spielenden Person ist, sondern auch ihrer politisch-gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Vergangene Erfahrungsmuster werden ausgedrückt im Augenblick und: „Die Improvisation ist durch ihre Symbolgestalt der Wirklichkeit so etwas wie ein Treibhaus der Phantasie. Wer improvisiert, spielt sich nicht nur von der tätigen Phantasie frei, sondern setzt auch neue in Gang. Diese prägt, mehr als wir uns bewußt sind, die zukünftigen Gefühle, Gedanken und Handlungen.“ (HEGI, 147)

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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