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Burg Herzberg Festival 2007 – Nachlese

Burg Herzberg Festival
Seit so vielen Jahren wollte ich endlich einmal zur „Traditional Hippie Convention“ in deutschen Landen: Dem Festival auf der Burg Herzberg. Dieses Jahr war es soweit und es sollten zwei intensive Tage werden.

Stilgerecht reisten wir mit einem VW Bus Camper an. Einige Kilometer vor dem Ziel stieg ein Tramper zu – und stellte sich als ein guter Freund eines Geschäftskollegen heraus, den wir später auf dem Festival treffen sollten. Rock’n’Roll. Die Helfer winkten uns problemlos durch und wiesen uns einen Standplatz zu, der genau passte: Ganz oben auf der Wiese, schöne Aussicht, dazu flach genug, um nachts nicht durch den Bus zu kullern. Das Fest konnte starten.

Bernd Witthüser
Gern wär ich bereits Freitags angereist, um alte Kämpen wir Hans Söllner, Van der Graaf Generator oder Pavlov’s Dog zu erleben. Doch immerhin, endlich würde ich Bernd Witthüser sehen können. Vorher gab es allerdings noch den Schluss des Gigs von „Klaus der Geiger“ auf der Freakstage. Erst wurde ein Song von Ton Steine Scherben bzw. Rio Reiser zugrunde gerichtet, dann folgte eine Bullenverarsche zur Melodie des CanCan. Das Ganze war so platt, dass ich einfach nicht darüber lachen konnte. Dazu kenne ich einfach zu viele Polizisten, um ins allgemeine Bullen-Bashing der Sponti-Szene einstimmen zu können und mag es etwas differenzierter. Es gibt halt auf jeder Seite korrekte Leute und Idioten – bei Polizisten wie bei Hippies. Meine Applausverweigerung zog allerdings gleich scheele Blicke und laute Kommentare mit sich: „Ey, guckt mal, der klatscht nicht. Ein Zivilbulle!“

Nunja. Locker geblieben und auf Bernd Witthüser gewartet. Jahr um Jahr habe ich der Dreier-LP von 1971/72 gelauscht, die er mit Walter Westrupp zusammen eingespielt hatte: Trips und Träume, Der Jesuspilz und Bauer Plath waren in diesem Schuber versammelt. Wundervolle akustische Reiseberichte zu anderen Zuständen des Bewusstseins. Doch war der Bewusstseinszustand des Künstlers bei diesem Auftritt nur schwer zu erfassen. Nicht nur, dass Bernd Witthüser alias Bernelli statt der angekündigten 25 Kilo Instrumente nur eine E-Gitarre nutzte. Stattdessen wirkte er wie ein böser, alter Mann, der die ganze Welt hasst. Anfangs schienen seine Spötteleien noch auf schräge Art lustig, doch wurde es immer stranger. Er spielte Songs an, um sie bald darauf wieder abzubrechen, mäkelte von Anfang bis Ende über den Sound, bastelte am Delay, lästerte über Leute in der ersten Reihe, kurz: wirkte wie das warnende Beispiel eines abgestürzten langjährigen Users von Weich- und Flüssigdrogen.

Colosseum
Die Reihen lichteten sich und auch wir wanderten ab, um der Edgar Broughton Band zu lauschen, die die Große Bühne rockte. Der Auftritt ganz ganz nett, aber auch nicht wirklich umwerfend, so dass erstmal Umziehen und Abendessen am Bus aufs Programm kamen. So verpasste ich leider Götz Widmann fast vollständig. Und der Mann lohnt sich! Allein der Song „Ich Schäme Mich Beim Wichsen“ brachte so viele Menschen zu Mitsingen, dass es eine Wonne war. Der Mann ist so gut, dass ich seine Website hier verlinken muss, wo sich einiges an Material wie MP3’s findet.

Danach folgte Colosseum, die als erste Rock-Band richtig überzeugten. Der Basser wirkte optisch recht bieder, spielte aber vom Feinsten. Und dann Barbara Thompson am Sax! Direkt vor der Bühne war das Ganze einfach ein Genuss. Allerdings sorgte der fette Regen, der bereits bei Götz Widmann eingesetzt hatte, für eine zunehmende Auflösung des Bodens. Nachdem die Bühne sogar halb überflutet war und sich dadurch der Auftritt von Uriah Heep verzögerte, wanderten wir möglichst geschützt bei den Händlern durch.

Irgendwo lief Musik, die wie live klang. Sofort hin. Richtig geile Mukke tönte durch einen Stand. Groovig, spacig, elektronisch. Es handelte sich um eine CD von Electric Orange, die Freitag abend auf der Freakstage ihren Auftritt gehabt hatten. Wieder eine Band, die man live erleben muss.

Lehmfuesse
Doch der Kampf durch den Matsch wurde immer ärger. Und ich war am ersten Tag noch nicht locker genug, um auf Schuhe und Strümpfe zu verzichten. Nach einer Pause in einer Reggae-„Kneipe“ ging es zurück zum Bus. Im Bett verfolgte ich durch das Prasseln des Regens hindurch den Gig von Uriah Heep, der in richtig gutem Sound frei Bus geliefert wurde. Wie die Jungs abrockten! Das war nicht einfach nur „Lady in Black“. Das war Hardrock vom Feinsten, der Deep Purple oder Led Zeppelin in Nichts nachstand. Die Rhythmusgruppe machte gehörig Druck, die Gitarren zerrten, die Hammond schwebte lesliemäßig und der Gesang war so frisch wie am ersten Tag. Unglaublich! Wie mir später berichtet wurde, fand vor der Bühne eine richtig Woodstock-like Schlammparty statt.

Doch war auch danach nicht an Schlaf zu denken. Denn nun hämmerten Orange mit progressiven Beats los. Aus der Ferne vermutete ich einen Drummer, Keyboards, dazu ein Didgeridoo und ein Sänger, der nicht nur Oberton- sondern auch Untertongesänge mit hypnotischen Texten integrierte. Ein richtig heftiger Trip, der andauerte, bis die Sonne gegen fünf Uhr morgens das erste gelbe Grau an den Himmel zauberte. Die wenigen Stunden Schlaf waren angefüllt mit intensiven Träumen.

Ougenweide
Der Sonntag klarte auf. Naurea verband auf der Großen Bühne Brasilianisches Feeling mit harten Beats. Mir war es definitiv zu krachig, schreckte aber wohl auch die letzten Schläfer auf. Gefreut hatte ich mich auf Ougenweide, die ich ebenfalls das erste Mal live erleben durfte. Verglichen mit den mir bekannten Platten hat sich das Konzept wohl verändert. Sicher stehen immer noch mittelalterliche Instrumente, Texte und Lieder im Vordergrund. Doch wird dies mittlerweile durch Schlagzeug, Bass und elektrifizierte Gitarre ergänzt. Das Ergebnis mag alten Fans vielleicht nicht ganz behagen, ist aber gekonnt dargeboten und tanzbar. Insofern für mich keine Enttäuschung, sondern ich lauschte gern bis zum letzten Song.

Mittlerweile war ich auch innerlich auf dem Festival angekommen und hatte meine Hippie-Wurzeln Stück für Stück wieder entdeckt. Schuhe trug ich längst nicht mehr. Stattdessen wühlten meine nackten Füße im Matsch, fühlten die nachgiebigen Vibrationen der Erde bei jedem Schritt. Und ich alter Mann spürte, dass dies meinen geschädigten Bandscheiben gut tat – trotz Schlafens im Bus wurde mein Rücken immer lockerer.

Essen war angesagt. Die Auswahl war nicht leicht angesichts der vielen Buden. Leckeres aus aller Herren & Frauen Länder wollte meinen Magen verwöhnen, das Rennen machte ein indisches Gemisch mit Spinat in Erdnusssoße, dazu ein Geflügel-Curry. Zum Verdauen eignete sich „Shantel & the Bucovina Club Orchestar“ grade noch. Ansonsten war mir der Mix aus Ethno und Eletronic auf Dauer zu hart und eintönig, so dass ich einfach weiter weg von der Bühne in den Himmel sah, die Wolken beobachtete und die Sonne genoss. Wundervoll chillig.

17 Hippies
Dann kam mein persönlicher Hauptbühnen-Favorit des Festivals, die Gruppe, die mir vor ihrem Auftritt völlig unbekannt war: Die 17 Hippies aus Berlin. 13 MusikerInnen rockten akustisch ab, was das Zeug hielt. Traditionelle osteuropäische oder französische Klänge, eigenwillig zusammengestellt, manchmal mit deutschen Texten, aber meist Berliner Flair. Meine Beine waren nicht zu halten, der Barfußtanz auf dem lehmig-weichen Boden ein Genuss ohne gleichen.

Pünktlich zu Ende des Konzertes kamen sie dann wieder: Dicke, schwarze Regenwolken. Wir hatten beschlossen, in diesem Fall schnell das Weite zu suchen. Denn eine erneute Überflutung der Äcker hätte bedeutet, auf nicht absehbare Zeit fest zu sitzen. So schlossen wir uns der Kolonne derer an, die wie unsereiner montags wieder arbeiten wollten. Fuhren getragen von viel Musik nach Hause. Und ich beschloss: Wenn wieder Herzberg Festival, dann das volle Programm vom ersten Tag an! Es lohnt sich einfach.

 

Zur Website des Festivals: http://www.burgherzberg-festival.de/
Vielen Dank an Barbara Ritzkowski für die tollen Fotos!
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Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

2 Kommentare

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