
Disco ist mehr als ein Genre. Es ist ein Lebensgefühl, ein kulturelles Statement, ein Soundtrack für Freiheit, Ekstase und Individualität. In den 1970er Jahren eroberte der Disco-Sound die Weltbühnen, und mitten in diesem globalen Phänomen stand eine Frau aus Boston und eine Stadt, die man mit Lederhosen, Bier und Oktoberfest verband: Donna Summer und München.
Was auf den ersten Blick wie ein ungewöhnliches Duo erscheint, entwickelte sich zu einem kreativen Epizentrum, das die Musikgeschichte veränderte. Der sogenannte „Munich Sound“ wurde zu einem Markenzeichen der Disco-Ära und Donna Summer zur „Queen of Disco“.
https://youtu.be/WzsLsAP8uK0?feature=shared
Donna Summers Weg nach München
LaDonna Adrian Gaines, geboren am 31. Dezember 1948 in Boston, wuchs in einem religiösen Elternhaus auf und entdeckte früh ihre Leidenschaft für Musik. In der Kirche sammelte sie erste Gesangserfahrungen, doch schon bald reichte ihr die lokale Bühne nicht mehr. 1968 zog sie nach Europa, um in der deutschen Produktion des Musicals „Hair“ aufzutreten. In München fand sie eine neue Heimat, sowohl musikalisch als auch privat. Sie heiratete den österreichischen Schauspieler Helmut Sommer, dessen Nachnamen sie später – leicht modifiziert – als Künstlernamen übernahm.
München war in jenen Jahren ein Anziehungspunkt für kreative Köpfe. Die Stadt war weltoffen, aufgeschlossen und international geprägt. Genau das richtige Umfeld für eine aufstrebende Künstlerin wie Donna Summer.
Die Entstehung des Munich Sound
In München traf Donna Summer auf zwei Männer, die ihr Leben verändern sollten: den italienischen Produzenten Giorgio Moroder und den britischen Toningenieur Pete Bellotte. Gemeinsam begannen sie in den legendären Musicland Studios zu experimentieren. Der „Munich Sound“, den sie dort entwickelten, war eine Mischung aus tanzbaren Beats, orchestralen Arrangements und frühen elektronischen Klängen.
Dieser neue Sound unterschied sich deutlich von den souligen Disco-Produktionen aus den USA. Er war präziser, kühler, futuristischer. München wurde zum Zentrum dieser musikalischen Bewegung, in der auch andere Acts wie Silver Convention und Amanda Lear produziert wurden. Der Munich Sound war geboren – international, kosmopolitisch und stilbildend.
Der Durchbruch mit „Love to Love You Baby“
Der große Durchbruch kam 1975 mit dem Song „Love to Love You Baby“. Donna Summer hauchte, stöhnte und sang sich in einem 17-minütigen Track in die Herzen der Clubgänger weltweit. Der Song war eine Provokation und ein Geniestreich zugleich. Noch nie zuvor hatte eine Künstlerin ihre Sexualität so explizit vertont.
Der Titel wurde in den USA kontrovers diskutiert, aber ebenso gefeiert. Er erreichte Platz 2 der Billboard-Charts und machte Donna Summer über Nacht zum Star. Die Länge des Songs war dabei ebenso revolutionär wie sein Inhalt: Er war nicht fürs Radio gedacht, sondern für die Tanzfläche. Es war ein Track für die Nacht, für das Künstliche, für das Hedonistische. Und es war der Sound von München.
https://youtu.be/74k71dvqlo8?feature=shared
„I Feel Love“ – Der Sound der Zukunft
Wenn „Love to Love You Baby“ ein Meilenstein war, so war „I Feel Love“ von 1977 ein Quantensprung. In diesem Song verbannten Moroder und Bellotte nahezu alle traditionellen Instrumente und setzten auf einen vollsynthetischen Klangteppich, produziert mit dem Moog-Synthesizer. Donna Summers Stimme schwebte über diesem hypnotischen Beat – sinnlich, künstlich, perfekt.
„I Feel Love“ gilt heute als einer der einflussreichsten Popsongs aller Zeiten. Kein Geringerer als Brian Eno soll nach dem ersten Hören zu David Bowie gesagt haben: „Das ist der Sound der Zukunft.“ Tatsächlich war der Track wegweisend für die Entwicklung von Techno, House und elektronischer Tanzmusik. Was in einem Münchner Studio entstand, hallte in den Clubs von Chicago, Berlin und Tokio wider.
München als Disco-Metropole
In den 1970er Jahren war München nicht nur eine Musikstadt, sondern auch ein kultureller Hotspot. Clubs wie das „Sugar Shack“, das „Why Not“ oder das „Café Größenwahn“ wurden zu Treffpunkten für Künstler, Musiker und Freigeister aus aller Welt.
Die bayerische Hauptstadt war internationaler als ihr Ruf. Gerade im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne entstand eine kreative Energie, die ihresgleichen suchte. München wurde zu einem Symbol für das neue, europäische Selbstbewusstsein in der Popkultur. Der Munich Sound war Ausdruck dieser Aufbruchsstimmung.
Donna Summers Vermächtnis
In den folgenden Jahren landete Donna Summer Hit auf Hit: „Hot Stuff“, „Bad Girls“, „She Works Hard for the Money“. Ihre Songs waren nicht nur musikalisch innovativ, sondern auch politisch und gesellschaftlich relevant. Sie sang über weibliche Selbstbestimmung, über Arbeit, Lust und Freiheit.
Nach dem Ende der Disco-Welle Anfang der 1980er Jahre zog sich Donna Summer zeitweise aus dem Rampenlicht zurück. Doch ihr Einfluss blieb ungebrochen. Ihre Musik wurde unzählige Male gesampelt, gecovert und zitiert. Künstlerinnen wie Beyoncé, Madonna oder Dua Lipa berufen sich explizit auf ihr Erbe.
2012 starb Donna Summer im Alter von 63 Jahren an Lungenkrebs. Die Trauer war weltweit. In München gedachte man der „First Lady des Munich Sound“ mit Konzerten und Ausstellungen. Sie war nicht nur eine große Sängerin, sondern eine Ikone.
Wie Popkultur Grenzen überwindet
Donna Summer und der Munich Sound sind untrennbar miteinander verbunden. Was als musikalisches Experiment in einem bayerischen Studio begann, wurde zur Blaupause für eine ganze Generation von Musikern. Donna Summer brachte mit ihrer Stimme, ihrer Präsenz und ihrem Mut, Konventionen zu brechen, das Beste aus dem Munich Sound hervor.
Die Geschichte von Donna Summer und München zeigt, wie Popkultur Grenzen überwindet. Eine afroamerikanische Frau, ein italienischer Produzent, ein britischer Toningenieur und eine deutsche Stadt veränderten gemeinsam die Welt der Musik. Diese Geschichte ist ein Beweis dafür, dass wahre Innovation oft dort entsteht, wo man sie am wenigsten erwartet.