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Der Berg Groovt: Outer Space Free Flow

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Am 11. Juni 2023 erschien „Outer Space Free Flow“ vom Frankfurter Improvisationskollektiv „Der Berg Groovt“, eine Art „Best-of Compilation“ der Sessions, die vom 05. bis 07.12.2014 in der Kapelle des Reuschbergs stattgefunden hatten. Zeit für ein Interview von Karl-Heinz Spock (KHS) mit Loewenherz/Frisbee (kurz: Loewe).

Achteinhalb Jahre nach dem Event erscheint diese Compilation. Warum so spät und warum überhaupt?

Der Mastermind dieses Projektes ist für mich Member. Nachdem ich ihm fünf Jahre in den Ohren gelegen hatte, brachte er 2019 den ersten Teil einer Zusammenstellung heraus. Danach half alles Generve nicht weiter. Es ging um 52 Tracks mit insgesamt acht Stunden Dauer, eine Auswahl samt digitaler Nachbearbeitung wie Schnitt etc. ist halt auch Arbeit.

Die du dir dann gemacht hast…

Ja, für mich waren diese Mitschnitte etwas besonderes. Die anderen improvisieren im Grunde jede Woche in Members Pub auf dem Frankfurter Berg, während ich hier auf dem Röderberg nur selten das Vergnügen habe. Außerdem das ganze Reuschberg-Feeling… und das erste Mal, dass ich bei freier Impro so viel Leadgesang übernommen hatte.

Erzähl doch mal was über den Reuschberg.

Der Reuschberg selbst liegt in Schöllkrippen im Landkreis Aschaffenburg im bayerischen Spessart. Das dortige Hofgut samt Kapelle wurde 1991 von Dr. Annette Fried und Dr. Joachim Keller  übernommen, renoviert, eine Spielstätte für experimentelles Theater entstand, dazu die Möglichkeit für Sessions und Workshops.
Es erinnert mich an die Zeiten in den 70er/80er Jahren als viele deutsche Bands aufs Land gezogen sind. In Städten gibt es viele Impulse und Möglichkeiten, aber wirklich coole Plätze, um sich in Gruppen weiter zu entwickeln, finden sich meist abgelegen auf dem Land. Aktuell gibt es hier im Saarland auch fast nur Saarbrücken mit entsprechenden Veranstaltungsangeboten, während ich die schönsten Erfahrungen mit Freiräumen in „versteckten“ Communities in Frankreich mache, die alternative Lebensformen fördern durch die Verbindung von Kreativität, Selbstbestimmung, Ökologie und Nachhaltigkeit.

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Annette und Jogi habe ich 1991 als Dozenten an der Fachhochschule Frankfurt kennen gelernt, viele meiner KommilitonInnen waren begeistert von ihren Clowstheater-Workshops. Meine Kumpels Member und Chris waren mit am Start, gründeten zusammen mit Stolle die Band „Lay de Fear“ und fuhren regelmäßig für einige Tage auf den Reuschberg um frei zu musizieren. Wobei das Ganze zwischen Selbsterfahrung und Brachial-Therapie chargierte 🙂
Ein paar Mal war ich bei offeneren Workshops mit dabei: Tage mit gemeinsamem Wohnen und Kochen, in der Kapelle waren massig Instrumente spielfertig aufgebaut samt Recording-Equipement. Wenn man nicht gerade schlief oder mal draußen herumstromerte, spielte sich alles in der Küche oder Kapelle ab. Diese Verbindung von Kreativität und gruppendynamischen Prozessen schafft über die Tage eine besondere Intensität und Energie, Stichwort „angereichertes Feld“.

2014 hatte dann aber nicht mehr viel mit der damaligen Studentenzeit zu tun?

Klar, aber die Wurzeln stammen von dort. Zwischen Member und mir hatte es 1990 gleich „gefunkt“, wir waren in vielen Dingen auf einer Wellenlänge. Ich muss heut noch grinsen, wenn ich an die Sprüche mancher elitäreren Musiker zurück denke: „Wie kannst du nur mit dem zusammen spielen, der ist doch viel zu schlecht.“ Das gleiche Mobbing, das auch ich erfahren hatte als ich mit dem Bass begonnen hatte.
Member und ich hatten massig Projekte zusammen, dazu spielte er in Bands wie Tinnitus Mask oder The Whole, wurde immer bässer und stand irgendwann mit Krautrock-Legenden wie Damo Suzuki (The Can) oder Ax Genrich (Guru Guru) gemeinsam auf der Bühne.

Conni ist für mich in Frankfurt ein Underground-Rockstar. Anfang/Mitte der 90er war die komplette Kick’n’Roll-Redaktion ein Fan der Slags („beste hart rockende Frauenband Deutschlands“), wo Conni erstmals auf dem Radar auftauchte. Später kamen Projekte wie Lava 303, wo sie Trance und Rock-Gitarre zusammenbringt, Lover 303 mIt Mani Neumeier (Guru Guru), „Maly macht Musik“ oder eben „Der Berg groovt“, oft mit Member am Start. Mal abgesehen davon, dass sie – wie Member und ich früher auch -, kulturpädagogische Projekte mit Frankfurter Kids durchführt. Ich glaube, sie ist fast jedes Jahr auf Open Airs wie dem Herzberg Festival, Tropentango etc. zu hören.

Dazu sind bei den Aufnahmen mit Chris, Eyke und Till weitere Kreative dabei aus deren alternativem Wohnprojekt, die ich allerdings vor jenem Wochenende kaum kannte. Dazu war glaub ich noch ein Pärchen dabei, die eher weniger als Musiker unterwegs sind, vor allem die junge Frau spielte schöne Sounds auf einem Sägeblatt mit Bogen. Aber keine Ahnung mehr, wer das war.

Für manche dürfte der Ablauf schwer vorstellbar sein?

In der großen Kapelle ist alles aufgebaut. Ein Zoom H4nSP Recorder steht bereit, der via Raumklang aufnimmt, weshalb ich die Aufnahmen am liebsten mit Kopfhörer genieße. Der Erste, der die Kapelle betritt und mitschneiden will, drückt den roten Knopf und der Letzte der rausgeht, macht ihn wieder aus. Oder so.

Manchmal ist einer allein da, dann sind drei Leute in der Kapelle, der Rest in der Küche oder mal auf Rückzug im Zimmer. Und dann ist plötzlich volle Kapelle. Jeder geht zu dem Instrument, auf das er grade Lust hat oder denkt, es könnte die Gestalt der Musik ergänzen.

Hast du ein Beispiel?

Track 8 „Überraschung“ ging ich in die Kapelle, war allein und spielte ein kurzes Solo mit der Obertonflöte. Jemand kam dazu und „Machumba“ entstand als rein experimentelles Voice-Stück, ein ganz kurzes Piece. Und dann bei der „weißen Frau“ volle Kapelle. Oder als ich nicht schlafen konnte, gegen zwei Uhr morgens in die Kapelle ging, dort Conni vorfand und dann mit ihr zusammen „Weisst du was ich meine“ gespielt habe, das einzige Stück, das nicht wirklich frei improvisiert ist.
Bei den „Psychedelic Fusion Patters“ hab ich mehrere Teile einer Impro zusammengeschnitten. War halt eine Impro, wo ich mich am Bass austoben konnte, dazu ein witziges Gesamtbild.

Also ist die Compilation deine eigene Version dieses Wochenendes?

Klar, Member kürzt knackiger. Bei Outer Space beispielsweise hätte ich ein paar Takte später reingehen können, aber ich fand es spannend, den Übergang noch mitzunehmen. Insofern hab ich mehr Gewicht auf Prozess als Ergebnis gelegt.

Im Grunde hatte ich die Wahl zwischen zwei verschiedenen Ausgaben: Mein eigener Best-Of mit Schwerpunkten auf den Stücken, wo ich Leadgesang mache, und alles möglichst knackig, also stärker geschnitten. Da wären dann mit Living In The Outer Space, The Law Of Confusion, Fucking Sweet Home, Come Closer, She’s Hot, The Beat, Seltsam, Mashemahoh und Ticket to ride nur neun Stücke drauf gewesen.
Aber im Laufe des Hörens entwickelte sich halt diese Version: Ein möglichst gutes Abbild des Wochenendes. Auch unabhängig von Teil 1, den Member veröffentlicht hat.

Insofern also Überschneidungen.

Ja, hält sich aber in Grenzen. Zumal ich wie gesagt, teils anders geschnitten hab, dazu heißen die Titel bei mir teilweise anders. „Home Of My Space Mother“ ist bei mir „Fucking Sweet Home“ 🙂 Eines meiner absoluten Lieblingsstücke neben „Outer Space“. Member ist wie ich chronologisch vorgegangen, insofern fehlt bei ihm rund die zweite Hälfte des Wochenendes. Auch wenn ich ihm jetzt nicht mehr im Nacken sitze, ist nicht damit zu rechnen, dass er noch seinen eigenen Teil 2 veröffentlicht 😉 Ich würde auch eher dazu tendieren, noch einen richtig straighten Zusammenschnitt anzufertigen, der leichter ins Ohr geht. Das ein oder andere Stück kürzen und bei YouTube hochladen. Aber Hauptsache, das Ding ist raus und ich kann jetzt jederzeit via Bandcamp die Mukke hören 🙂

Danke fürs Gespräch, Alter. Gesundheit und ein langes Leben!

Videos

Kaum erscheint das Interview, läuft meine Software wieder. Vollmotiviert also auf der Basis der „Outer Space Free Flow“ meine stärker geschnittene Best-Of – vor allem Stücke, die stärkeren Song-Charakter haben. Letztendlich 9 Titel mit rund 69 Minuten.
Die gekürzten mp3 liegen vor, das jetzt noch bei Spotify reinhauen wär witzig 🙂

YouTube Playlist Outer Space Free Flow

Einfach zum durchlaufen lassen 🙂

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https://www.youtube.com/playlist?list=PLt5pQKf_SMpIUFDF0szac8WgnRQ_4YHRn

Die einzelnen Stücke zum direkten Aufruf:

Der Berg Groovt: Living in the Outer Space

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https://youtu.be/i_HkBH8saR4

Der Berg Groovt: Ticket to ride

Vollversion bei Bandcamp.

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https://youtu.be/7vNPRsfq80g

Der Berg Groovt: The Law

Radikal gekürzte Version von „The Law Of Confusion“:

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https://youtu.be/82HdY8dvjlA

Der Berg Groovt: Seltsam

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https://youtu.be/j9pS5jvOc8w

Der Berg Groovt: Fucking Sweet Home

Stark gekürzte Version von „Fucking Sweet Home“ (Space Mother).
YouTube hatte das Video aufgrund des Wortes „fucking“ (verwendet im Sinne von „verdammt“) mit einer Altersbeschränkung versehen, was nur durch die Verunstaltung des Titels umgangen werden konnte.

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https://youtu.be/q4IU-N8LAxg

Der Berg Groovt: She’s Hot

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https://youtu.be/l2jAGFM17HA

Der Berg Groovt: Come Closer (Sometimes In Your Dreams)

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https://youtu.be/7N53xIOJ2Ns

Der Berg Groovt: Mashemahoh

Vorn und hinten eine Minute kürzer als zur Bandcamp-Version.

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https://youtu.be/eNguwRf_cKQ

Der Berg Groovt: The Beat

Vorn etwas, nach hintenraus stark gekürzt. Langversion bei Bandcamp for free.

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https://youtu.be/GOkJ1NPjKAQ

Fotos vom Reuschberg 2014

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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