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Was ist Musik? – Der Klang

Der Klang ist ehrlich

– Worte lügen und verführen, meint Fritz PERLS; so ehrlich, daß er schon als verräterisch bezeichnet werden kann. Doch was ist Klang? Technisch betrachtet entsteht er durch zueinander in Beziehung gesetzte Schwingungen von Tönen und ihren Obertönen, durch das Zusammenschwingen verschiedener Töne. Auf jedem Ton baut eine Obertonleiter auf, und das Vorhandensein und die Ausprägung der Obertöne bestimmt die Klangfarbe – derselbe Ton, auf zwei verschiedenen Instrumenten gespielt, klingt verschieden.

Die Obertonleiter wird gebildet,

indem eine Saite durch alle natürlichen Zahlen von zwei an aufsteigend geteilt wird. Das heißt: durch Halbierung bildet sich die Oktave, durch Dritteln die Quint, Vierteln die Quart usw. Interessant, daß auf der ganzen Welt die fünf bis sechs einfachsten Schwingungsverhältnisse (Intervalle) als harmonisch, beruhigend, schön, eben klingend empfunden werden; wobei wir heute Intervalle genießen, die vor Jahrhunderten in unserem Kulturkreis als Mißklang empfunden wurden (vgl. BEHRENDT, 1990). Nicht zu vergessen, die von Johannes KEPLER gefundene Analogie zwischen den einfachen Zahlenverhältnissen des goldenen Schnittes, des Obertongebäudes und den Körperproportionen des Menschen sowie den Verhältnissen der Abstände unserer Planeten voneinander.

„Klang ist ein amorphes Ereignis.

Er ist trotz seiner genauen physikalischen Bestimmbarkeit in seiner Erscheinung formlos.“ (HEGI, 75) Er ist „(…) ein immaterielles, unstoffliches Phänomen, schwierig faßbar wie Energie oder Äther.“ (HEGI, 86) „Klang ist nur im Moment, er ist dauernd prozeßhaft in Veränderung. (…) er läßt sich nur empfinden, fühlen: Klang ist Gefühl!“ (HEGI, 75)

Das unmittelbarste Medium des Menschen ist die Stimme.

Sie steht jederzeit zur Verfügung. Und: jede Stimme klingt anders. Das lateinische persona wird linguistisch von ‚durch die Maske hindurchklingen‘ hergeleitet, frei ausgelegt mit ‚durch den Klang‘ übersetzt. HEGI kommt nach weiteren Überlegungen zum Schluß: „Die Stimme eines Menschen ist die am direktesten klingende Verbindung zwischen seiner inneren und äußeren Welt.“ (S. 8o)

Vokale sind die Klangträger der menschlichen Stimme,

mit Hilfe des Konsonantengerüstes. Ihre heilende Kraft ist seit Jahrtausenden bekannt. Die Grundlage vokalisierten Ausdrucks und der Stimme überhaupt ist der Atem. Er wird in drei Phasen unterteilt:
1. „Die Einatmung ist der Akt des Aufnehmens, der Nahrung, des Füllens und Erfüllens (…) der passiv-reaktive und geistig-intuitive Aspekt der Atmung.“ (HEGI, 85)
2. „Die Ausatmung ist der Akt des Weggebens, des Herauslassens, des kreativen Produkts, des Leerens und Ausleerens (…) der aktive und materiell produktive Aspekt der Atmung.“ (HEGI, 85)
3. „Die Atempause ist der Akt des Nichts (…) der Gegenpol zur Aufnahme und Abgabe, zur Bewegung des Zulassens und Loslassens.“ (HEGI, 85) Sie wird meist völlig unterschätzt oder gar vergessen, ist jedoch so wichtig wie ihre Gegenpole Aufnahme und Abgabe, bedeutet „eine Grenzerfahrung zwischen Leben und Tod und steht für sein lassen.“ (HEGI, 85)
„Atemstörungen sind meistens psychosomatisch mit Behinderungen der persönlichen Fähigkeit verknüpft, zuzulassen, loszulassen und seinzulassen.“ (HEGI, 86)

In diese Zusammenhänge gehören

auch die Begriffe Aura (als räumliche Dimension unseres Atems) und Stimmung (als ungreifbare Realität des Moments und unteilbare Einheit).
Es ist auch nötig, hier zwischen Klang und Harmonie, Resonanz und Konsonanz zu differenzieren: „Die Harmonie der freien Improvisation besteht in Stimmigkeit, Ehrlichkeit, Echtheit und Direktheit, egal ob im Guten oder im Bösen.“ (HEGI, 82) Disharmonisch klingt z.B. eine Stimme, die geübte Freundlichkeit ausdrückt und Wut meint.
Resonanz heißt wörtlich wiederklingen und bedeutet antworten, gehört werden, verstanden werden. Resonanzmangel kann zu sozialer Isolation, innerer Verarmung und Depression führen. „Die Fähigkeit zur Konsonanz ist die Fähigkeit im Zusammenspiel (…) in dieselbe Schwingung gehen und sich als Teil eines Ganzen verhalten zu können.“ (HEGI, 82) Ihr „Verlust fördert (…) den Ehrgeiz und den Zwang, andere zu übertreffen.“ (HEGI, 83)

Der Klang ist ein bedeutendes Medium

in der Musiktherapie. Therapie ist: „Der Prozeß einer heilenden Integration, des Zusammenspielens von Stimmung und Ausdruck oder des Auffindens von Kontakt zwischen Gefühl und Handlung (…) . Dieser Prozeß führt oft über das Gegenteil von Harmonie, die Entropie, das Chaos und die Unordnung.“ (HEGI, 93) Hier sind Klänge wichtig, denn: „Klangerfahrungen sind Gefühlserfahrungen, und diese erweitern die Toleranz für Anderes und Neues (vgl. FRIEDEMANN 1973).“ (HEGI, 94) In der Improvisation lernt die Spielende, „die Eigenartigkeit des eigenen Klangs zu entdecken.“ (HEGI, 94)

„Die Musiktherapie will jeden Menschen ein Stück mehr seinem eigenen Künstler näherbringen. Künstler ist, wer seine Eigenart in Klang ausdrücken kann. Wer hingegen bloß virtuose Rhythmen und Melodien umzusetzen vermag, bleibt ein Techniker.“ (HEGI, 94)

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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