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Konzertagenturen und -vermarkter verdrängen kleinere und mittlere Festivals vom Markt

Open-Air Festival

Die deutsche Festivallandschaft ist im Wandel – und zwar in eine Richtung, die viele Musikfans mit Sorge betrachten.

Das stille Verschwinden einer vielfältigen Festivalkultur

Während sich Großveranstaltungen wie „Rock am Ring“ oder das „Lollapalooza“ weiter konsolidieren, verschwinden kleinere und mittlere Festivals zunehmend von der Bildfläche. Jüngstes Beispiel ist das traditionsreiche „Rocco del Schlacko“ im Saarland, das 2025 nach fast 25 Jahren zum letzten Mal stattfinden wird. Die Gründe sind vielfältig – doch eine Ursache sticht heraus: Die wachsende Dominanz großer Konzertagenturen und -vermarkter, die den Zugang zu Künstler:innen kontrollieren und damit kleineren Veranstaltern das Überleben schwer machen.

Hintergrund: Marktstruktur im Wandel

Die Konzert- und Festivalbranche befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Seit Jahren beobachten Branchenkenner eine zunehmende Konzentration des Marktes: Großagenturen wie Live Nation, FKP Scorpio oder DEAG kontrollieren heute einen Großteil der relevanten Bookings, Infrastruktur und Werbung. Was früher über persönliche Kontakte und lokale Netzwerke lief, ist heute oft Sache global agierender Firmen mit zentral gesteuerten Buchungssystemen.

Diese Entwicklung ist nicht auf Deutschland beschränkt, aber hier besonders spürbar. Viele kleine Veranstalter, einst Herzstück einer diversen Musikszene, geraten durch die neue Marktmacht an ihre Grenzen. Sie verlieren nicht nur den Zugriff auf die beliebtesten Künstler:innen, sondern können auch finanziell kaum mithalten.

Der Fall „Rocco del Schlacko“

Das „Rocco del Schlacko“, seit 1999 im Saarland beheimatet, galt lange als Paradebeispiel für ein erfolgreiches mittelgroßes Festival: familiär, gut organisiert, mit starkem lokalen Bezug und regelmäßig attraktiven Line-Ups. Nun ist Schluss. Im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk benennt Mitorganisator Thilo Ziegler klare Gründe: „Wir können mit den Entwicklungen im Festivalmarkt nicht mehr mithalten.“

Ziegler beschreibt eine Entwicklung, in der zunehmend große Konzertvermarkter den Markt dominieren. Künstler würden oft nur noch exklusiv über diese großen Player gebucht, was für kleinere Festivals de facto einem Ausschluss gleichkomme: „Wenn du nicht zu den Großen gehörst, bekommst du die Acts nicht mehr.“ Der direkte Kontakt zu Künstlern sei kaum mehr möglich. Dazu kommen steigende Kosten bei Technik, Sicherheit und Verwaltung – ein toxischer Mix für Veranstalter mit begrenzten Budgets.

Marktdynamik: Die treibenden Kräfte

Exklusivität durch Booking-Agenturen

Immer mehr Künstler:innen – insbesondere internationale Acts – sind an exklusive Agenturen gebunden. Diese bündeln Tourneen, verwalten Gagen und entscheiden, wer Zugang erhält. Festivals, die nicht in deren Netzwerk eingebunden sind, werden oft schlicht übergangen. Für ein Festival mit 5.000 bis 15.000 Besuchern bedeutet das, keine Chance auf hochkarätige Acts – selbst wenn das Budget grundsätzlich vorhanden wäre.

Wettbewerbsvorteile großer Veranstalter

Großveranstalter profitieren von Synergieeffekten: Wer mehrere Festivals parallel organisiert, kann Künstler für mehrere Termine buchen und Kosten senken. Außerdem verfügen diese Unternehmen über größere Werbeetats, bessere Kontakte zu Sponsoren und eine ausgebaute Logistikstruktur. Kleinere Festivals müssen dagegen für jeden Bestandteil – vom Toilettenwagen bis zur Stromversorgung – Einzelverträge abschließen, oft zu deutlich schlechteren Konditionen.

Kostenexplosion als zusätzliche Belastung

Seit der Corona-Pandemie sind die Produktionskosten stark gestiegen. Technik, Sicherheitsdienstleistungen, Versicherungen, Personal – alles ist teurer geworden. Hinzu kommen gestiegene Auflagen bei Umwelt-, Sicherheits- und Hygienevorgaben. „Es reicht nicht mehr, gute Musik und ein schönes Gelände zu haben – du brauchst ein ganzes juristisches und technisches Team“, sagt ein Veranstalter aus Rheinland-Pfalz, der sein Festival 2023 ebenfalls einstellen musste.

Auswirkungen: Wenn Vielfalt verloren geht

Was auf den ersten Blick wie ein rein wirtschaftlicher Vorgang wirkt, hat tiefgreifende kulturelle Folgen. Kleine und mittlere Festivals waren über Jahrzehnte hinweg Brutstätten musikalischer Vielfalt – Orte, an denen Newcomer auftreten konnten, an denen regionale Musikszene gefördert wurde und alternative Genres ihr Publikum fanden. Mit ihrem Verschwinden wird auch die musikalische Landschaft homogener.

Hinzu kommt der Verlust für Regionen, die vom Tourismus und der lokalen Wertschöpfung solcher Veranstaltungen profitieren. Hotels, Gastronomie, Einzelhandel – sie alle verlieren durch das Aus kleiner Festivals eine wichtige Einnahmequelle. Und nicht zuletzt trifft es die Fans: Viele schätzen die intime, persönliche Atmosphäre kleiner Festivals, die durch die Massenabfertigung der Großevents kaum ersetzt werden kann.

Weitere Beispiele: MELT und andere Verlierer

Ein weiteres prominentes Beispiel ist das „MELT“-Festival in Sachsen-Anhalt, das 2024 seine letzte Ausgabe veranstaltete. Die Organisatoren sprachen von „unüberwindbaren strukturellen Veränderungen im Festivalmarkt“, die ein wirtschaftliches Fortbestehen unmöglich machten. Auch Festivals wie „Appletree Garden“, „Dockville“ oder „Highfield“ berichten über zunehmenden Druck und mussten ihr Angebot bereits deutlich reduzieren.

Reaktionen und politische Forderungen

Zunehmend melden sich Festivalveranstalter mit klaren Forderungen zu Wort. Neben Thilo Ziegler appellieren auch Vertreter:innen kleiner Kulturvereine an die Politik: Es brauche faire Wettbewerbsbedingungen und gezielte Förderprogramme für kleinere Veranstalter. Denn während große Agenturen durch Investorengelder oder Aktiengesellschaften gestützt werden, sind kleinere Festivals oft auf private Initiative oder kommunale Zuschüsse angewiesen.

Auch kulturpolitische Stimmen warnen vor einem weiteren Rückzug der kulturellen Vielfalt. In einem offenen Brief fordert das Netzwerk „LiveKomm“ eine Überprüfung der Marktstrukturen im Festivalbereich sowie die Förderung unabhängiger Veranstalter. „Kulturelle Vielfalt darf nicht dem Shareholder Value geopfert werden“, heißt es darin.

Lösungsansätze: Zwischen Kooperation und Regulierung

Neue Netzwerke für kleine Festivals

Ein möglicher Weg ist die verstärkte Zusammenarbeit kleiner Veranstalter untereinander. Netzwerke wie „Festivalnetzwerk e.V.“ versuchen bereits, durch gemeinsames Booking, geteilte Technik oder gemeinsame Werbung Synergieeffekte zu schaffen. „Wenn wir gemeinsam auftreten, können wir Verhandlungsmacht zurückgewinnen“, sagt eine Vertreterin aus Niedersachsen.

Förderung und faire Gebühren

Ein weiteres Handlungsfeld betrifft die Gebührenpolitik. So fordern viele Veranstalter eine Reform der GEMA-Tarife, die kleinere Festivals überproportional belasteten. Auch die Einführung eines „Kulturbudgets“ auf kommunaler oder Bundesebene, das speziell für nichtkommerzielle oder mittlere Festivals reserviert ist, wird diskutiert.

Kartellrechtliche Prüfung

Schließlich steht die Frage im Raum, ob die dominierende Stellung großer Agenturen überhaupt mit geltendem Wettbewerbsrecht vereinbar ist. Eine kartellrechtliche Prüfung durch das Bundeskartellamt könnte Transparenz schaffen und mögliche Eingriffe vorbereiten. Eine ähnliche Debatte gab es bereits im Kinomarkt, als große Ketten kleine Häuser durch Exklusivverträge mit Filmverleihern unter Druck setzten.

Ausblick: Zwischen Hoffnung und Ohnmacht

Ob sich das Blatt für kleinere und mittlere Festivals noch einmal wenden lässt, ist offen. Klar ist: Ohne politisches Eingreifen oder strukturelle Veränderungen werden viele dieser Veranstaltungen in den kommenden Jahren verschwinden. Die Konsolidierung wird weitergehen – und damit auch der Verlust kultureller Vielfalt, regionaler Identität und musikalischer Experimentierfreude.

Doch es gibt auch Hoffnung: Dort, wo sich Veranstalter zusammenschließen, lokale Politik Verantwortung übernimmt und Förderstrukturen überdacht werden, entstehen neue Modelle. Vielleicht braucht es weniger Großbühnen – und mehr Graswurzelinitiativen.

Verarmung der Festivalkultur

Die zunehmende Marktkonzentration durch große Konzertagenturen bedroht die Existenz kleiner und mittlerer Festivals in Deutschland. Am Beispiel von „Rocco del Schlacko“ und „MELT“ wird deutlich, wie tiefgreifend die strukturellen Veränderungen sind. Wenn politisch nicht gegengesteuert wird, droht eine Verarmung der Festivalkultur – kulturell, ökonomisch und sozial. Der Erhalt dieser Vielfalt ist eine Aufgabe für Gesellschaft, Politik und Szene gleichermaßen.

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