Das Bezugsfeld Familie
bedarf bei pädagogischen, therapeutischen oder prophylaktischen Maßnahmen besonderer Berücksichtigung. Gründe dafür sind:
- Die Einbeziehung der Eltern aufgrund des unterschiedlichen Realitätserlebens von Kindern im Elternhaus einerseits und in pädagogischen Institutionen andererseits
- Das gemeinsame Ausprobieren und Erleben neuer sowie das Erkennen und Überwinden alter und widersprüchlicher Verhaltensweisen
- Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen existiert bei Eltern eine Verunsicherung über das Thema Erziehung sowie eine mehr oder minder große Unfähigkeit, ihre Rolle positiv auszuüben. Sie bedürfen weniger theoretischer Arbeit über Erziehungs- und Gesellschaftsprobleme denn einer lebendigen und sinnlichen Anregung, die den Konsumangeboten der Freizeit- und Hobbyindustrie überlegen ist, um mit ihren Kindern zu wachsen. Statt des Fernsehens als oft einziger gemeinsamer familiärer ‚Aktivität‘ bietet sich der lustvolle und spielerische Umgang mit Musik an.
- Über das Genannte hinausgehend führt Hartmut KAPTEINA (in FINKEL, 223) die politische Dimension aus: Daß Betroffene lernen, ihre Probleme – speziell öde soziale Beziehungen – nicht als individuell und privat zu verstehen, sondern als Resultat der jeweiligen Lebensbedingungen; daß sich dadurch – über die Familie hinausgehend – solidarische Zusammenhänge bilden, die diese Lebensbedingungen zu verändern suchen: MI als Weg zur Utopie.
Dies sind die Grundlagen eines modellhaften Versuches,
wie ihn KAPTEINA an der VHS Siegen mit folgenden Vorsätzen durchführte:
- Die Spiel- und Lernsituationen für Kinder und Er-wachsene gleichermaßen reizvoll zu gestalten
- Das Angebot muß sich passend in den Freizeitablauf der Familie einfügen
- Die Offenheit des Angebots, so daß jeder mitmachen kann, wie und wann er will
- Die Offenheit der Situation, so daß die Teilnehmer größtmögliche Selbständigkeit in Bezug auf Entfaltung und Programmvorschläge besitzen
- Die Offenheit, sich Ängste einzugestehen, sowie die Ermutigung zum Lernen und das Hauptaugenmerk auf Positives
Die Gestaltung eines solchen Kurses
mit Familien, die den spielerisch-improvisatorischen und schöpferischen Umgang mit Musik näherbringen soll, beinhaltet in der Anfangsphase folgendes:
- Kennlernspiele (vor allem mit den Namen der Teilnehmer), um die anfängliche Unsicherheit aufzulösen
- Klangexperimente, um die mögliche Leichtigkeit des Musizierens und die Bedeutung des ’subjektiven Faktors‘ zu verdeutlichen
- Erkunden der Instrumente und Aufzeigen ihrer verschiedenen Spielmöglichkeiten
- Selbstbau von Instrumenten, vor allem Rasseln, Trommeln und einfache Blasinstrumente, in verschiedenen Schwierigkeitsstufen
- Musikspiele (teils Variationen von altbekannten Spielen wie ‚Reise nach Jerusalem‘ oder ‚Heiß oder kalt‘), in denen die Anforderungen an Konzentrationsfähigkeit, genaue Wahrnehmung und Ausführung sowie Gruppenverhalten gesteigert werden; in der Reihenfolge sollen sie möglichst ergänzend und auflockernd sein
- Spiele mit der eigenen Stimme
- Streng organisierte Trommelspiele sowie Freiraum gestattende Klangbilder
Später folgt dann multimediales Arbeiten,
in diesem Fall also die Verknüpfung von Musik und
- Malerei
- Bewegung und Tanz
- Theater
- Video
Bei der musikpädagogischen Familienarbeit
ist weiterhin von Wichtigkeit:
- Die Teamer machen immer mit, um Vorbildfunktionen auszuüben, an denen sich die Lernenden orientieren, „bis sie sich in der Situation zurechtgefunden haben und eigene Lösungen entwickeln können.“ (FINKEL, 235)
- Es werden auch gemeinsam Lieder gesungen (altbekannte und neue, oft Kinderlieder), um den ‚kulturellen Zwiespalt‘ der Teilnehmer aufzuarbeiten, da die Beherrschung und Anerkennung herkömmlicher Musikpraktiken durch die Teamer oft auch erst das Vertrauen schafft, das die Teilnehmer brauchen, um sich für Neues zu öffnen.
Allerdings ist ein solcher Kurs nur eine ‚kurzzeitpädagogische‘ Maßnahme, was die Forderung eines Teilnehmers nach einem ‚Zentrum für Eltern, bzw. Leute zwischen Jugend und Alter‘ erklärt, „in dem Spiel, Bewegung und Austausch in Form langfristiger und kontinuierlicher Angebote möglich sind.“ (FINKEL, 239) Dennoch zeigt die Auswertung dieses VHS-Kurses, daß der Versuch – also der Einsatz von GI in der Familienarbeit – im Großen und Ganzen als gelungen bezeichnet werden konnte. MI stellt ein taugliches Mittel dar, die innerfamiliäre Interaktion und Kommunikation zu verbessern. Dies hat auch WARNKE erkannt, der schreibt: „Eltern und Kinder erleben wechselseitig ihre verschiedenen Möglichkeiten: Eltern die Spontaneität und intuitiv-schöpferischen Kräfte der Kinder, die Kinder die koordinierenden und ordnenden Fähigkeiten der Erwachsenen. Daraus ergibt sich eine gegenseitige Wertschätzung.“ ( in FINKEL, 239)