
Wie sechs Bremer mit Humor, Haltung und Memes den Punk zurück in die Gegenwart prügeln.
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ – Der Chor aus dem Publikum hallt durch das Berliner SO36. Keine Parole, kein Protest, sondern ein Ritual. Eine kollektive Beschwörung. Und das mitten in einem der legendärsten Clubs der Republik. Wer’s nicht kennt, denkt vielleicht an Tumulte. Wer’s kennt, weiß: Team Scheisse ist auf der Bühne. Und ja – das ist Punk. 2025. Digital, laut, politisch, ironisch. Und ziemlich unaufhaltsam.
https://youtu.be/Uz-htW9DTus?feature=shared
Wer zur Hölle ist Team Scheisse?
Was 2016 in Bremen beginnt, klingt erstmal wie ein Scherz. Eine Band namens Team Scheisse? Klingt wie ein Satireprojekt von extra 3. Aber es ist ernst – und gerade deshalb funktioniert es. Sechs Typen mit Instrumenten, rotzigen Texten, Social-Media-Affinität und dem unerschütterlichen Glauben daran, dass Punk mehr sein kann als Nostalgie und bierselige Pogo-Melancholie.
Der erste große Knall kommt 2021 mit dem Debütalbum „8 Hobbies für den sozialen Abstieg“ – ein wütendes, albernes, wunderbar kaputtes Statement in 12 Songs. Es geht um Internetverlorenheit, toxische Männlichkeit, das Grauen des Alltags – und die Freude am eigenen Dilettantismus. Nichts daran klingt gewollt cool oder stylisch, aber genau deshalb bleibt es hängen.
Seitdem geht’s Schlag auf Schlag: Gigs im ausverkauften Festsaal Kreuzberg, gefeierte Festivalslots, Streamingzahlen im sechsstelligen Bereich. Alben mit Titeln wie „Ich habe dir Blumen von der Tanke mitgebracht (Jetzt wird geküsst)“ oder „20 Jahre Drehorgel“ zeigen: Der Humor bleibt, die Haltung auch.
Meme-Punk mit Botschaft
Team Scheisse hat ein Marketingrezept, das alte Punkbands vermutlich nervös machen würde: Sie spielen das Spiel der sozialen Medien – aber nach ihren eigenen Regeln. Statt Hochglanzbildern oder Promo-Clips posten sie absurde Memes, Screenshots aus Chatgruppen und völlig dadaistische Visuals. Ein Instagram-Feed, der gleichzeitig nervt, fasziniert und zum Lachen bringt. Keine Hochglanzinszenierung, sondern ein digitales Punk-Fanzine.
Was auf den ersten Blick wie reiner Klamauk wirkt, ist klug kalkuliert: „Wenn du mit einem Bandnamen wie ‚Team Scheisse‘ ankommst, erwarten die Leute eh nichts – also kannst du alles machen“, sagte Sänger Lennart in einem Interview. Und sie machen alles: DIY-Aufnahmen, selbstgedrehte Musikvideos, Merch mit Hundemotiven oder brennenden Telefonzellen.
Doch der Klamauk hat Substanz. Die Texte sind voll bissiger Alltagsbeobachtungen, bissiger Kritik am Status Quo und trotziger Menschlichkeit. Da geht’s um Depressionen („Ich kann nicht mehr und das ist okay“), Männerrollen („Ich bin ein echter Mann, weil ich ab und zu mal koche“) oder den Umgang mit Popkultur. Alles mit Witz – aber nie zynisch.
https://youtu.be/2JJdAk71fXQ?feature=shared
Awareness statt Macho-Pogo
Was Team Scheisse von vielen anderen Punkbands unterscheidet, ist ihre Haltung zur eigenen Szene. Keine Hommage an alte Zeiten, keine Verherrlichung von Gewalt oder Suff – sondern ein modernes Verständnis von Punk als verantwortungsbewusste Eskalation. Ihre Konzerte beginnen mit klaren Ansagen: Keine Toleranz für Sexismus, Rassismus oder Übergriffigkeit. Kein Platz für Arschlöcher.
Das ist kein Marketinggag, sondern gelebte Praxis. Vor Auftritten gibt es Awareness-Teams, Anlaufstellen für Betroffene, klare Hinweise auf respektvolles Miteinander. Und wenn jemand die Grenzen anderer überschreitet, wird er rausgeworfen – Punkt.
Selbst im Musikvideo zu ihrem Song „Mittelfinger“ setzen sie ein Zeichen: Es wurde auch in deutscher Gebärdensprache übersetzt. Inklusive Screaming. Eine Geste, die nicht nur inklusiv, sondern auch ziemlich badass ist.
Team Scheisse zeigt: Punk kann laut und wild sein – und trotzdem empathisch. Wer sich nach einem Konzert umarmt und sagt „Danke, dass ich heute ich sein durfte“, hat verstanden, worum es geht.
Punk 2025: Renaissance oder Reboot?
Wer gedacht hat, Punk sei in den Nullerjahren auf die Nostalgiebühne verbannt worden, wird dieser Tage eines Besseren belehrt. Festivals wie das Outbreak in Manchester feiern eine neue Generation von Hardcore-Bands. Plattenlabels wie Audiolith oder Kidnap Music bringen frische, politische Acts raus. Und in deutschen Städten wächst eine Szene heran, die wieder mehr ist als nur Kuttenfolklore.
„Es ist sicherlich eine gute Zeit, um Punkmusiker zu sein“, titelte das Redaktionsnetzwerk Deutschland jüngst in einem Artikel über das Genre. Der Grund: Die Welt ist im Arsch – also brauchen wir wieder Musik, die das nicht nur benennt, sondern bespielt. Und Team Scheisse trifft diesen Nerv mit chirurgischer Präzision.
Ihr Sound ist roh, aber nicht stumpf. Ihre Texte sind politisch, aber nie predigend. Ihre Haltung ist klar, aber nie besserwisserisch. Das macht sie anschlussfähig – nicht nur für Leute, die mit Slime oder WIZO aufgewachsen sind, sondern auch für eine neue Generation, die TikTok durchscrollt und dabei an der Welt verzweifelt.
https://youtu.be/TAUJ2Yksha8?feature=shared
Der Mittelfinger als Empathiegeste
Vielleicht ist das größte Verdienst von Team Scheisse, dass sie zeigen: Wut und Zärtlichkeit schließen sich nicht aus. Wer genau hinhört, erkennt zwischen den lauten Akkorden und punchlineartigen Texten eine tiefe Menschlichkeit. Da ist viel Schmerz, viel Überforderung – aber eben auch der Wille, nicht aufzugeben. Oder wie sie es selbst singen: „Ich geb dir alles, was ich hab – es ist nicht viel, aber echt.“
Der Mittelfinger, ihr wiederkehrendes Symbol, ist keine stumpfe Provokation. Er ist eine Empathiegeste an alle, die sich vom System vergessen fühlen. Ein „Fick dich!“ an oben – und ein „Ich seh dich“ nach unten.
Punk lebt – und Team Scheisse ist sein Herzschlag
In einer Welt, die immer glatter, schneller, absurder wird, wirkt Team Scheisse wie ein dringend nötiger Störfaktor. Sie sind laut, unbequem, witzig, politisch – und voller Herz. Kein Retro-Punk, kein Szene-Abklatsch, sondern ein echter Neuanfang. Eine Renaissance mit Lärm, Haltung und viel Liebe für den ganzen kaputten Laden namens Gegenwart.
Wer denkt, Punk sei tot, war noch nie auf einem ihrer Konzerte. Wer glaubt, Haltung und Humor schließen sich aus, hat sie nicht verstanden. Und wer sich fragt, wie man heute noch Musik machen kann, die etwas bedeutet – sollte sich einfach mal von einem „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“-Chor anschreien lassen.
Denn vielleicht ist genau das Punk 2025: Laut sein, ehrlich sein – und dabei nicht vergessen, Mensch zu bleiben.