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Hinter den Kulissen: Emma, das Mädchen für alles

Veröffentlicht in der Kick’n’Roll Nr. 23 vom März 99

Wo Kulissen sind, muß auch jemand sein, der sie schiebt. Michael „Emma“ Emmrich, Stagehand und Allround-Mann im Sinkkasten, plauderte mit Frisbee über sein Leben.

Als Mitarbeiter des Sinkkastens kann man Dich kaum als Roadie bezeichnen…

Nein, ich seh mich als Townie.

Warst Du überhaupt schon mal auf Tour?

Nein, aber das Interesse wäre schon da. Mal weg von Zuhause, die Welt sehen, reich und berühmt werden. Ich bin ja auch ungebunden und ohne Familie. Es kam halt noch keiner auf die Idee, mir das anzubieten.

Was gehört denn zu Deinem Aufgabengebiet?

Also einerseits bin ich Mädchen für alles. Da mach ich mal Garderobe, mal Kasse oder wisch im Winter schon mal die Treppe, damit die Leute sich nicht den Hals brechen. Andererseits bin ich Stagehand, also die Schnittstelle zwischen der Band und dem Techniker auf der einen Seite und der Band und dem Club auf der anderen Seite, also dem eigentlichen Geschehen im Club. Das sind rein logistische Sachen: wo kriegen sie ihre Getränke her, wo kommen die Koffer hin, wo sind Steckdosen, wo kriegt man noch schnell ‘ne Batterie her oder ein Fell ist gerissen, das sind alles Sachen, die so vorkommen.

Letztens ist Jackie Levon, ein recht bekannter Gitarrist, auf die Bühne gekommen, hat einen Stuhl gewollt, den haben wir ihm gegeben, und er hat natürlich prompt den einzigen altersschwachen Stuhl erwischt. Der ist zusammengebrochen und es hat ihm seine Lieblingsgitarre zerrissen.  Da mußten wir natürlich auf die Schnelle ‘ne Ersatzgitarre auftreiben und für die Reparatur der Alten sorgen.

Ich sorg halt für die Bedürfnisse der Künstler, damit die Band einen möglichst angenehmen Aufenthalt hat, sich  nicht um Kleinigkeiten kümmern müssen und ihren Soundcheck machen können. Der Rest liegt dann bei der Band selber und dem Publikum.

Was gefällt Dir an Deinem Job?

Mir macht der Job gerade deswegen so viel Spaß, weil es einfach ein Erlebnis ist, die Musiker so hautnah zu leben, vor und nach der Show. Oft sieht man da auch die Besonderheiten: Der eine ist auf der Bühne ganz ausgewechselt, der andere zieht einfach nur sein Ding weiter durch, ist auf der Bühne genauso wie privat wie zum Beispiel Julian Dorson. Wir hatten auch Guildo Horn schon acht Mal hintereinander da. Am Anfang kam der rein: „Hallo, ich bin der Horst“ und nachher auf der Bühne war der dann völlig ausgewechselt, dann ist er Guildo Horn. Da merkst Du halt gut: wer ist echt und wer spielt mit dem Medium Musik und Livepräsentation.

Es gibt natürlich auch gewisse Musiker, die haben Sonderwünsche. Hermann Brod zum Beispiel hat darauf bestanden, daß eine gelbe Lampe links oben auf einen Tisch leuchtete, an dem er dann erstmal seine Songs aufgeschrieben hat, damit er sie in seinem angesäuselten Kopf rekapitulieren konnte. Nachher haben wir dann beim Aufräumen der Garderobe neben den Stinkesachen auch seine handgeschriebenen Texte gefunden. Allerdings waren sie in einer Art Geheimschrift, die kein Mensch mehr lesen konnte – man konnte genau sehen, wie er sein Fläschchen geleert hatte, während er das aufgeschrieben hatte. Bei ihm mußten wir auch den Weg zur Bühne mit Pfeilen markieren, also das ist sehr interessant gewesen.

Machst Du selbst aktiv Musik?

Ich war schon immer Musiker. Mein Vater war Schlagzeuger (so hat Mama Papa kennengelernt) und so hab ich schon mit fünf gespielt. Ich versuche gerade eine neue Schlagzeugrichtung zu etablieren, nämlich das timinglose Schlagzeug. Ich bin dafür, man sollte Timing nicht so ernst nehmen.

Wie hat Dein Lebensweg Dich überhaupt zu diesem Job geführt?

Ich hab Bundeswehr gemacht, Chemielaborant, wollte diverse Male das Abitur machen und war Bäcker/Konditor. In der Gastronomie war ich schon immer, auch als Beleuchter im Pik Dame, Frankfurts traditionsreichstem Striplokal. Irgendwann hab ich dann bei einem meiner Abiturversuche den Mattes kennengelernt, der zu der Zeit DJ im Sinkkasten war und auch gesungen hat. Wir haben eine Band zusammengemacht und er hat gemerkt, daß ich nicht immer so flüssig war. Da hat er mir angeboten, ob ich nicht im Sinkkasten als Stagehand arbeiten wollte. Ich hab da auch sofort an Roadie gedacht, so ganz cool mit Stirnband und Werkzeuggürtel mit Mac-Light dran.

Wie lang ist das her?

Das war vor fünf Jahren. Und ich hab schnell gemerkt, daß sie mich wegen der Treppe zusätzlich zu ihren eigenen Leuten gebraucht haben. Die Treppe erhält mir den Job. Mit ‘nem Aufzug hätte ich kaum noch was zu tun. Und im Laufe der Zeit hab ich’s so hingebogen, daß halt dieses Mädchen für alles drausgeworden ist. Ich bin in der Regel von der Ankunft der Band bis zum Soundcheck da. Danach hab ich Pause bis kurz vor Ende der Show und helfe dann wieder abzubauen. Mittlerweile bin ich nicht mehr nur fürs Hochtragen da, sondern mach auch die Verkabelung auf der Bühne zusammen mit dem Techniker bzw. nach seinen Anweisungen. Ich denk, ich hab den Job Stagehand im Sinkkasten dadurch etwas aufgewertet. Das schöne am Sinkkasten ist eh das Team. Wir haben da nicht unsere einzelnen Bereiche, sondern sind eine Einheit.

Wie sieht’s mit der Bezahlung aus?

Ich krieg 17,50 DM die Stunde – in der Regel fünf Stunden pro Termin – und arbeite auf 630 Mark-Basis. Mitarbeiter haben am Arbeitstag ein bestimmtes Kontingent von Getränken frei. Wir haben auch eine gemeinsame Drinkgeldkasse und da fahren alle mit, auch die Bühnenleute, die in der Regel kein Trinkgeld kriegen. Reich wird man in dem Job nicht, und ich mach’s nicht wegen dem Geld.

Eine Handvoll von dem Applaus, der an die Band geht, ist auch immer für mich. Wenn alles gut klappt, dann geht’s auch den Musikern gut und die kommen gern wieder. Ich hab die besten Szenen schon nach den Konzerten gehabt: wenn der Schlagzeuger fertig ist, erstmal relaxt und dann kommt er raus, ist frustriert, weil er der letzte ist und am meisten wegzupacken hat. Und dann hab ich das alles schon erledigt, genauso wie er’s selber gemacht hätte, und dann freut der sich tierisch und kann zum Rest der Band an die Bar. So seh ich mich dann als Teil der Band, mal bin ich der sechste Mann von Canned Heat, mal einer von den Komm-mit-Mann’s. Das ist das Schöne an dem Beruf. Wenn’s nach mir ginge, würde ich jeden Termin machen, würde sogar in den Sinkkasten einziehen, einfach weil’s das Spaß macht. Ich seh das nicht als Arbeit, auch wenn‘s anstrengend ist.

Eigentlich werde ich von den Künstlern angefordert, was dann auch in den Gagenverhandlungen eine Rolle spielt. Also nicht mit oder ohne Gummi, sondern mit oder ohne Stagehand. Ohne hat die Band halt mehr für sich. Manche tragen auch ihr Zeug gern selber hoch, das ist dann wie im Zeltlager. Gerade unbekannte Bands verzichten ja manchmal komplett auf die Gage, nur damit sie den Sinkkasten als Sprungbrett nutzen können. Der Sinkkasten ist ja einer der wenigen hier, der die Fahne der Livemusik noch hochhält, gerade auch im Hinblick auf ein breites Spektrum.

Ich find’s interessant, daß ‘ne Stagehand mit ‘nem dicken Shakespeare-Band zum Interview kommt.

Ich hab Shakespeare dabei, weil ich Goethes gesammelte Werke letztes Jahr durchgemacht habe. Manche denken, Roadies hätten nichts im Kopf. Aber ich muß mich ständig auf andere Leute einstellen, gucken, daß es jedem gut geht. Und als Ausgleich lese ich. Gute Literatur hat noch niemandem geschadet. Und ich kann’s jedem empfehlen: Mord, Totschlag, Drogen, Hurerei, alles, was man von ‘nem gutem Actionfilm erwartet, findet man bei Shakespeare. Immer wenn ich Luft hab, les ich, auch an der Garderobe.

Was hast Du denn alles schon erlebt?

Die lustigen Sachen sind die Mißgeschicke, die überall passieren. So wie ein Büromensch Ärger mit der Faxmaschine hat, ist es bei uns das Brummen in der Anlage, das unsere Techniker zu beseitigen versuchen. Ich versteh es nicht, aber jedesmal brummt es – die stecken hier was um, da was um, ich glaube, der Fehler ist bis heute noch nicht gefunden. vielleicht ist es auch nur ein Trick von den Technikern.

Wie stehtst Du denn zum „Starkult“?

Musiker sind nur Menschen wie andere auch – egal wie berühmt. Früher hat ich selbst mal nach Plektren gegeiert, dieses Idolisieren praktiziert. Mittlerweile schmeiß ich Plektren, die ich auf der Bühne finde, einfach weg. Das ist Abfall. Die Plektrons von Stars sind nicht irgendwie besonders, die sind nur bedruckt, das ist Massenware, die die geschenkt kriegen und wahrscheinlich nur wegschmeißen, weil sie kaputt sind.

Aber ich find’s faszinierend, ein Teil dieses Geschehens zu sein. Wenn ich auf der Bühne stehe, werde ich von Gästen in der Regel auf englisch angesprochen: „Can I have this, please?“ Die wollen dann irgendeinen zerbrochenen Stock haben. Oder ein Handtuch, was natürlich nicht geht, da die dem Sinkkasten gehören, die bringen die Leute nicht selbst mit. Die müssen übrigens auch von jemandem hingelegt werden.

Manchmal kommen auch Damen, die mehr wollen als ein Autogramm, oder Herren, die verliebt gucken. Aber was Stagehands betrifft, haben Garderobieren mehr Chancen. Wenn ich Garderobe mache, werde ich mehr angebaggert.

Was auch sehr lustig ist, sind viele Reggaebands. Wenn die ankommen, stinkt’s erst mal überall nach Gras, homegrown. Einmal mußten wir ‘ne riesenschwere Kiste hochschleppen, ist schon ewig her. Wir wunderten uns, die sollte nämlich nicht auf die Bühne, sondern in den Backstage-Bereich. Es entpuppte sich dann als eine Reiseküche. Die haben dann ihre Hühnchen und Fischgerichte im Sinkkasten gekocht. Dementsprechend war dann auch was los, wir hatten mindestens 25-30 Leute im Backstage-Raum, Kinder sind überall rumgerannt, die sind da fast eingezogen, nur fürs Konzert. Die Catering-Anweisungen der Künstler sind eh interessant. Bei vielen Bluesbands ist dann halt immer ‘ne Flasche Whiskey dabei, gehört standardmäßig wohl dazu, um die Stimme zu reiben.

Was sind Deine Wünsche für die Zukunft?

Ach, es könnten noch einmal sämtliche Hard-Rock-Bands der 80er in den Sinkkasten kommen und neu anfangen. Vielleicht mal ein Open Air, aber ich bin nicht der Typ für einen guten Roadie, hab keinen Führerschein und Elektrik fällt mir eher schwer. Aber als Tour-Manager, das könnt ich mir vorstellen, mit netten Menschen unterwegs sein.

Ich suche immer noch tapfere Leute, die Lust haben auf einen Schlagzeuger und einen Bassisten. Mein Schwager ist bislang der einzige, der meine Theorie vom timinglosen Schlagzeuger versteht und auch auf den Bass übertragen kann. Ansonsten versuche ich in Zukunft als Promoter mit Computerspielen mein Geld zu verdienen.Mein Motto ist, mir nicht den Spaß verderben zu lassen.

Emma, vielen Dank für das Gespräch.

Wenn ihr viele Zuschriften kriegt, könnt ihr ja demnächst ‘ne Homestory machen: in Bed with Emma – nie gezeigte Szenen mit ihm und seinem Hund. Die werden euch bombardieren. Also für die eine Ausgabe würde ich Geld verlangen.

 

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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