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Weltmusik

veröffentlicht in der Kick’n’Roll Nr. 12, Juni 96

Vom Tao der Töne und neuen Entwicklungen, erklärt am Beispiel von Termitenfürzen mit Holz drumrum

Was sich die letzten Jahre auf Szene-Festivals und Open-Air-Sessions beschränkte, ist nun auffällig geworden: bei immer mehr Rockkonzerten höre ich derzeit Didgeridoos. Wie kommt das? Neu ist die Integration von Instrumenten aus unterschiedlichen Kulturen in die Rockmusik nicht. Die Beatles verwendeten – Ausdruck des damals beginnenden Indienbooms – die Sitar, Embryo brachen zu Reisen auf, von denen sie fremde Klänge und Spielformen mitbrachten oder es wurden Instrumente der abendländischen Klassik verwendet. Im Pop diente solches allerdings oft nur der Verzierung.

Zum Thema befragt, erklärte mir ein ziemlich angetörnter Karl-Heinz von der Gruppe ProtzPawlow aus dem Hintertaunus inmitten einer Gruppe lärmender Groupies: „Isch spiel Didschi, weil isch’s geil find mit so’m lange Rohr uff da Bühn.“ Schon auffallend, daß ich bis jetzt nur Männer mit diesem Instrument gesehen habe. Im Ernst: Die Kurse, die z. B. Maik (069/495321) im Auftrag von Waggong (069/466202) anbietet, sind ständig ausgebucht, doch hält er diesen Run für eine Modeerscheinung, die in zwei Jahren abgeklungen sein wird. Interesse an der Kultur der Aborigines, die dieses Instrument hervorgebracht hat, und vor allem an der rituellen Funktion und therapeutischen Bedeutung des Didgeridoos sind angebracht. So weiß ich von Musikern, daß dieses Instrument ihnen Erfahrungen von Transzendenz und Entwicklungen ihrer selbst ermöglicht, die den Genuß bekannter Weichdrogen überflüssig macht. Das Didgeridoo als eines der ältesten Instrumente des Erdballs vermittelt eine archaische Form der Energiearbeit; vor allem für den Spieler, aber auch den Hörer bzw. Bespielten.

Natürlich, ein Didgeridoo macht noch keine Weltmusik, es ist u.a. Ausdruck einer Suche nach neuen Sounds, die tiefer gehen. So kommt es, daß Didgeridoo-Spieler – und mit diesem Instrument kann mensch nicht nur keyboardartige Flächensounds erzeugen, sondern auch phantastisch abgrooven – in Diskotheken live zu Tekkno improvisieren, jener Musikrichtung bei der Sounds eminent wichtig sind. Ein komplementäres Hörbild entsteht: Synthetische Sounds mischen sich mit lebendigen Klängen; der Spieler spürt, und Atem wird Vibration, wird Klang.

Immer mehr MusikerInnen stellen sich gar völlig auf ethnische Instrumente ein; nicht weil unplugged Mode ist, sondern aus einem Grundbedürfnis heraus. Zudem ist mensch weitestgehend unabhängig von der Steckdose und es schont meist die Gehörgänge. Das Spektrum reicht weit: von Trommelgruppen, die lateinamerikanische oder afrikani-sche Rhythmen pflegen, bis hin zu KlangforscherInnen, die einen spirituellen Weg gehen und meditativ-heilende Musik hervorbringen. Solche Gruppen gibt es auch in Frankfurt einige: Kick la Luna mit afrikanischen und südamerikanischen Prägungen, Prosechós mit Tsifteli und Rembetiko-Musik, einige Gruppen, die irisch oder bretonisch inspiriert sind oder Tekkno-Papst Sven Väth, der auf seiner neusten CD indische Klassik-Samples integriert.

An Läden, die sich auf ethnische Instrumente spezialisiert haben, kenne ich das Bongo Loco in der Leipziger Str./Friesengasse 6 (069/700360) und Afroton in der Rüsselsheimer Str. 22 (069/9730310). Tonträger zum Thema bekommt man – außer in esoterischen Läden – vor allem bei Network (069/4990040), die ein reichhaltiges und qualitativ hochwertiges Angebot führen, und auch mit Zweitausendeins kooperieren. Deren gemeinsame Reihe World Network gilt inzwischen als meistprämierteste und wohl erfolgreichste Weltmusikserie auf diesem Kontinent. Mit ihrer Programmausweitung im Bereich Weltmusik stellen die MacherInnen von Zweitausendeins ihren – was den Zeitgeist betrifft – bekannten guten Riecher unter Beweis.

Was ist denn nun überhaupt Weltmusik? Ist es die unverwässerte Wiedergabe einer ethnischen bzw. regionalen Musikkultur oder die stimmige Synthese aus mehreren musikalischen Traditionen? Ich tendiere zu letzterem, vor allem da sich, aufgrund der Bewegungen ethnischer Gruppen auf diesem Planeten, die Kulturen –  und damit auch Musikformen – vermischt und gegenseitig befruchtet haben, ‘reine’ Stile also selten anzutreffen sind. Zudem legt das Etikett Weltmusik eine solche Deutung nahe. Die Rockmusik könnte – von ihren Wurzeln und ihrer heutigen Verbreitung her gesehen – nun witzigerweise ebenfalls als (wenn auch elektrifizierte) Weltmusik bezeichnet werden. Was wäre also naheliegender als eine weitere Mutation? Nachdem dem Gott des Feuers (und der Elektrizität) ausgiebig gehuldigt wurde und heute viele Musiker orientierungslos zwischen Egopflege, Kommerz und Dröhnung hängen, wäre es doch eine nette Idee, das wichtigste Kennzeichen von Weltmusik, nämlich die Spiritualität als innersten Kern, auch in der Rockmusik zu entdecken. Ein Weg, der nur über die Mutation des einzelnen Musikers möglich ist.

Neues gibt es in der Rockmusik eben kaum noch. Innovativ sind höchstens Bands, die neue stilistische oder klangliche Synthesen herstellen, während Presse- und Labelvertreter schon das Sabbern kriegen, wenn sie etwas wie den ‘Seattle-Sound’ und gar einen passenden Märtyrer dafür finden können. Es gibt halt nicht nur die traditionellen Rockinstrumente, und auch die Zahl der Akkorde und ihrer für normale Ohren klingenden Kombinationsmöglichkeiten ist begrenzt und seit Entstehung der Rockmusik ziemlich ausgeschöpft worden. Klar törnt mich immer noch guter Rock’n’Roll, aber nach vielen Jahren Affrocke kann man auch mal seinen Horizont erweitern.

Die vor allem von Descartes und Newton geprägte abendländische Denke hat auch unsere Art Musik zu schaffen beeinflußt. Der synergetische Effekt von Weltmusik und die Integrierung der spirituellen Anteile von Musik gehören zum Paradigmenwechsel, der auch vor der Kunst des Hörens und Musizierens nicht haltmachen sollte.

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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